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Donnerstag, 30. Dezember 2010

01 Welcome to Forks, my personal green, sunless Hell (Bellas POV)

Die Neue an einer Schule zu sein, ist garantiert alles andere als schön. Aber noch schlimmer ist es, wenn man die Neue an einer Schule ist, die so tief in der Einöde liegt, dass man davon ausgehen könnte, dass sich alle hier nicht nur kannten, weil sie Nachbarn waren. Inzest wurde hier sicher nicht so hart bestraft, wie sonst wo in den USA. Ich meine, kommt schon, hier gibt’s so gut wie nichts. Wie sollen sich die Leute hier neue Partner suchen, wenn hier nirgends etwas anderes als Wald und Regen zu finden ist? Der nächste Ort ist eine gute Stunde mit dem Auto entfernt.
In der Not frisst der Teufel fliegen. Oder sowas in der Art.
Seufzend schmiss ich mir meinen Rucksack auf die Schulter und ging auf die Schule zu.
Negative Gedanken brachten mich hier jetzt auch nicht weiter.
Alle starrten mich an, als wäre ich eine Zirkusattraktion. Nein, ich habe keinen Bart. Nein, meine Schlange hatte ich zu Hause gelassen. Und nein, ich konnte keinen Salto rückwärts oder einen Flickflack, ohne alle Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung in Lebensgefahr zu bringen. Ich hasste das. Also tat ich das, was ich immer tat, wenn mir Leute auf die Nerven gingen: Ich ignorierte sie so sehr, dass ich mir einreden konnte, dass sie gar nicht existierten.
Probleme konnte man schließlich auch ohne Gewalt lösen. Psychologische Kriegsführung war schon immer mehr mein Ding gewesen, als meine Fäuste zu ballen. Mal davon abgesehen war ich sowieso nicht gerade groß und meine Muskeln reichten gerade aus, damit ich morgens das Marmeladenglas ohne Probleme – okay ohne erwähnenswerte Probleme – aufbekam.
Klar, ich konnte mich auch noch selbst verteidigen, aber das meist eher mit unlauteren Mitteln. Wer sagt schon was dagegen, wenn ein Mädchen einem Kerl in den Schritt tritt, wenn er sie in eine Ecke drängt und andeutet, was für unanständige Dinge er im Sinn hat, die er mit ihr anstellen möchte. Okay, vielleicht hat er sie auch nur in die Ecke gedrängt – ausversehen. Mein Punkt ist jedenfalls, dass keiner etwas dagegen sagt, wenn ein Mädchen zu unlauteren Mitteln greift, weil sie sich bedroht fühlt und sonst nicht zu helfen weiß.
Ich ließ meinen Blick durch die Gegend schweifen, da ich ja eigentlich das Sekretariat suchte. Eigentlich nur deswegen, weil ich mehr dazu gezwungen wurde, auf diese Schule zu gehen, als dass es meine eigener, freier Wille  war, der mich hierher trieb.
Meine Eltern hatten mal eben beschlossen, mich hier zu meiner Tante zu schicken. Wenn sie dachten, dass das Exil mir helfen würde, dann lagen sie vielleicht gar nicht so falsch. Denn das hier war das absolute Exil. Hier gab es nichts außer eine Bar und einen Supermarkt. Das war’s. Und da ich erst 18 war, würde ich in besagter Bar auch sehr wahrscheinlich nichts bekommen.
Verdammt seist du, Forks und diese Einöde!
Schweren Herzens schlurfte ich auf die Tür zu, auf der das Wort Sekretariat stand. Als ich den Raum betrat begrüßte mich sogleich eine Frau, schätzungsweise Mitte vierzig.
„Hallo! Du musst Isabella Marie sein. Schön, dass du jetzt auf unsere Schule gehst.“
Ich zuckte sofort zusammen. Sie war so freundlich und außerdem benutzte sie meinen vollständigen Namen. Wer tat denn sowas? Da war nicht mal ein Bindestrich!
Ich schüttelte innerlich den Kopf und setzte ein mehr als gezwungenes Lächeln auf.
„Hallo. Ich brauche meinen Stundenplan. Man hat mir gesagt, ich soll ihn hier abholen.“
Besser gleich zur Sache kommen. Sie sah ein wenig enttäuscht darüber aus, dass ich nicht sofort mit meiner Lebensgeschichte rausrückte, damit sie was zum Tratschen hatte.
Nachdem ich nach einem kurzen Gespräch – so kurz wie es dieser Frau eben möglich war – meinen Stundenplan, die Zuteilung für einen Spind und einen Plan für die Schule hatte, machte ich mich auf den Weg zu meinem Spind.
Es war definitiv eine überschaubare Anzahl an Spinden.
Als ich meine Kombination eingab, passierte nichts. Ich ruckelte an dem blöden Teil und dennoch blieb die Tür geschlossen. Blödes Scheißteil. Echt. War klar, dass ich den kaputten Spind bekam. Ich zog mit all meiner Kraft – wir hatten ja bereits geklärt, wie kräftig ich war – an dem Griff, aber es tat sich nichts.
Langsam wurde ich wirklich wütend. Mein erster Tag war gleich verdammt worden. Ich war nicht unbedingt gläubig, aber der da oben hatte eindeutig etwas gegen mich. Während ich ihn leise verfluchte und darauf hoffte, dass der Blitz mich wenigstens schnell, gezielt und tödlich traf, ertönte eine Stimme neben mir.
„Hey, kann man dir vielleicht helfen?“
Neben mir stand eine Blondine. Eine von der Sorte, bei denen man Minderwertigkeitskomplexe bekommen könnte, wenn man etwas auf das Äußere eines Menschen gab. Sie war größer als ich und hatte irgendwie ein wissendes Lächeln auf den Lippen.
„Ähm, vielleicht. Der blöde Spind klemmt.“
„Warte.“
Und mit einem kurzen kräftigen Schlag gegen den Spind sprang er auf. Ich überlegte bereits, ob man nicht eine Warnung an den Spind kleben sollte: „Drücken, nicht Ziehen.“ Wie an Türen. Wäre hilfreich gewesen, aber gut.
„Danke.“
Sie lächelte mich freundlich an und reichte mir ihre Hand. „Ich heiße Rosalie. Du musst die Neue sein. Nimm dich vor den Kerlen in Acht. Die haben schon lange auf dich gewartet.“
Ich seufzte leise. Sowas in der Art hatte ich befürchtet. Wahrscheinlich hätten sie auch auf mich gewartet, wenn ich Fischaugen hätte. Immerhin war ich neu. Mich kannten sie nicht seit dem Kindergarten und mich hatten sie auch nie in der frühen Phase der Pubertät gesehen.
Ich nahm ihre Hand und schüttelte sie kurz. „Ich heiße Bella. Danke für die Warnung. Das Interesse wird schon bald verfliegen.“
Sie legte ihren Kopf leicht schief und zog eine perfekt gezupfte Augenbraue hoch. „Ich denke, dass das nicht der Fall sein wird. Der letzte Neue war ein Kerl und davor…“ Sie dachte nach und legte ihre Stirn währenddessen in Falten. „Ach ja, in der vierten Klasse kam die letzte Neue. Und das war ich.“
Sie kannte also das Problem, hier neu zu sein. Eine Verbündete!
„Und wann kam der Neue?“, fragte ich nach. Vielleicht konnte der mir Tipps geben, wie ich die Leute entweder ultimativ ignorierte oder wir konnten gemeinsam die Neuen sein. Ach, ich hätte gestern früher schlafen gehen sollen. Meine Gedanken waren unsinnig und müde.
„Mein Bruder ist vor zwei Jahren hier an die Schule gekommen.“, erklärte sie.
Verwirrt sah ich sie an. „Warte mal. Dein Bruder? Aber wieso seid ihr nicht zusammen hier auf die Schule gekommen?“
Rosalie seufzte kurz, wandte ihren Blick ab und ließ ihn durch die Gänge streifen.
„Er ist nicht mein richtiger Bruder. Meine Eltern haben ihn vor vier Jahren adoptiert. Er hatte… ein paar Probleme und konnte deswegen erst vor zwei Jahren auf eine öffentliche Schule.“, erklärte sie knapp.
Probleme? Das klang doch mal interessant.
Sie fand das Thema wohl nicht allzu angenehm und wechselte es lieber schnell. „Hey, was hast du jetzt?“
Wir verglichen unsere Stundenpläne und stellten fest, dass wir beinahe jede Klasse gemeinsam hatten.
Ich erfuhr im Laufe des Tages immer mehr über sie und ihre Familie. Ihren Bruder ließ sie größtenteils aus. Ich wusste nur, dass er fünfzehn war und Edward hieß.
Es wunderte mich ein wenig und ich fragte mich kurzzeitig, ob sie ihn vielleicht gar nicht leiden konnte und sie nicht wirklich glücklich darüber war, dass er von ihren Eltern adoptiert worden war.
Am Ende des Tages waren wir bereits relativ gut miteinander bekannt. Sie kannte meine Tante – oh Wunder – und fragte mich, ob sie mich nach Hause fahren sollte. Da ich aber diesen ungemein schönen, alten, noch funktionstüchtigen Truck hatte, verschob ich das auf ein anderes Mal. Die Kiste sah nämlich so aus, als ob sie die Werkstatt hier in Forks verdammt gut kannte und dort des Öfteren residierte.
Die Woche lief ähnlich gut. Rosalie und ich freundeten uns verhältnismäßig schnell an. Wir waren beide eher direkt gegenüber den anderen Menschen, was uns Minuspunkte in Sachen Sympathie gab. Aber es störte uns nicht.
Ihren Bruder hatte ich bis dato immer noch nicht zu Gesicht bekommen. Sicher, er war zwei Jahrgänge unter mir, aber so groß war die Schule nun auch wieder nicht. Okay, ich wusste auch nicht wirklich, wie er aussah, da Rosalie sämtliche Informationen über ihn ziemlich kurz hielt.
Inzwischen wusste ich nur, dass er eigentlich aus Chicago kam. Genauso wie ich. Zumindest hatte ich da bis zu meinem zwölften Lebensjahr gewohnt. Danach hatte ich in Phoenix gelebt, wo meine Eltern jetzt immer noch in der Sonne brutzelten und ich langsam vergaß, wie sie überhaupt aussah.
Es war gelinde gesagt, frustrierend. Wenn es nicht regnete, dann konnte man fast nichts sehen, weil der Nebel so dick war. Es war nass und grün und nass und feucht und ich hatte dafür definitiv nicht die richtigen Klamotten hier.
Am Wochenende hatte ich so gut wie nichts zu tun. Das Haus war bereits sauber. Die Hausaufgaben ein Witz und… Es gab kein ‚und‘ mehr. Das war’s. Mehr konnte ich hier nicht machen. Außer vielleicht Spazieren gehen. Soweit kam’s noch…
Aber wie heißt es so schön? Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Also würde ich mich auch an diesen Rhythmus gewöhnen. Irgendwie.
Es dauerte knapp vier Wochen und dann war mir alles so egal. Aber es funktionierte. Wenn mir alles egal war, machte ich mir auch keine Gedanken darüber, wie es anders sein könnte.
Am Freitag dieser vierten Woche lud mich Rosalie zu sich nach Hause ein. Wir wollten einen gemütlichen DVD Abend machen und Pizza bestellen. Ihre Eltern waren außer Haus und ihr Bruder. Tja, keine Ahnung.
Als ich ihr nach der Schule zu ihrem Haus folgte, dachte ich darüber nach, wie er wohl aussehen würde, wenn ich ihn endlich sehen würde. Ich mein, ich hatte jetzt genug Zeit mir ein Hirngespinst zuzulegen. Hoffentlich sah er nicht so aus. Denn in Sachen Phantasie war ich nicht viel weiter als eine Vierjährige, die gerade Fingerfarben für sich entdeckt hatte.
Ihr Haus war wirklich schön und groß. Unser Haus in Phoenix hatte etwa dieselbe Größe gehabt.
„Meine Eltern dürften schon weg sein. Sie wollten nach dem Mittagessen nach Seattle fahren. Hochzeitstag und alles. Mein Bruder dürfte auch bald kommen. Er meinte, er muss noch was in der Bibliothek abholen. Wir müssen also noch warten, bis wir was bestellen können.“
Das war mir alles nur allzu recht.
Wir machten es uns in dem riesigen Sofa gemütlich und sahen einen der ersten Filme an. Als ich den Stapel sah, wusste ich genau, wieso sie wollte, dass ich hier schlief. Das waren so um die sieben Filme. Das würde seine Zeit dauern.
Als wir etwa bei der Hälfte ankamen, hörten wir die Haustür zufallen. Noch bevor ich mich umdrehen konnte, hörte ich, wie jemand die Treppen hochrannte. Mist. Verpasst. Es war so knapp.
Halt durch, Swan. Er kommt ja wieder.
Rosalie drückte auf Pause und ging auf die Suche nach der Karte vom Italiener.
Ich folgte ihr in die Küche und betrachtete die Karte sorgfältig. Sie hatten tatsächlich die Pizza schlechthin!
Ich freute mich bereits wie ein Schneekönig, als ich eine Stimme hinter mir hörte. Ich quiekte wenig damenhaft und vielleicht bin ich auch etwas heftig zusammengezuckt. Als ich herumwirbelte, stand er vor mir. Er sah definitiv nicht wie fünfzehn aus. Eher wie siebzehn. Egal. Jedenfalls sah er gut aus.
„Hey.“ Seine Begrüßung fiel definitiv knapp aus und sein Blick suchte sofort Rosalie. „Ich nehme die Pilzravioli.“
Sofort hatte ich Gänsehaut im Nacken. „Ihh! Bist du eklig?“, rief ich zu unser aller Verwunderung aus.
Er zog lediglich eine Augenbraue hoch. „Du musst es ja nicht essen.“, erwiderte er knapp und machte sich dann auf den Weg zum Kühlschrank. Ich beäugte ihn ganz genau. Seine Haare stachen am meisten heraus. Dieses Rotbraun. Seltsam, dass mir das nicht früher aufgefallen war. Sein Gesicht war symmetrisch und hatte markante Züge. Ich kannte außerdem niemanden mit so einer geraden Nase. Und seine Lippen.
Schnauze, Swan!
„Und was willst du?“, fragte Rosalie unbeeindruckt von dem Ganzen. Sie hatte bereits das Telefon in der Hand.
„Ich nehme eine Pizza mit Hackfleisch, Knoblauch, Ei, Zwiebeln und ordentlich Käse. Ich glaub, das war die 74 oder so.“
Ich hörte ihn vom Kühlschrank bis zu mir, obwohl er nur brummelte. „Aber ich bin eklig, ja?“
Ich lachte kurz und machte mich auf den Weg ins Wohnzimmer.
Der restliche Abend verlief relativ ereignislos. Rosalie und ich schauten unsere Filme und aßen unsere Pizza, später Popcorn. Edward hatte sich in sein Zimmer verkrochen, bis die Pizza kam und war seitdem wieder dorthin verschwunden.
Ich musste zugeben, das minderte meine gute Laune ein wenig, aber nur ein wenig.
Irgendwann zwischen dem sechsten und siebten Film musste ich eingeschlafen sein, denn das nächste, was ich wusste, war, dass ich, als ich meine Augen öffnete, in seine grünen Augen sah und schrie.

Mittwoch, 8. Dezember 2010

00 Prolog

„Ich will jetzt sofort wissen, wo er ist!“, fauchte ich den Polizeibeamten vor mir inzwischen einigermaßen ungehalten an. „Ich habe ein Recht zu wissen, was hier los ist!“
Der Beamte verlagerte sein Gewicht unbehaglich von einem Bein auf das andere. Immer wieder. Scheinbar wurde ihm die Situation hier unbequem. Recht so!, schimpfte ich.
Ich wollte doch nur endlich zu meinem Bruder und meinem Neffen. Warum ließ dieser sture Kerl mich nicht durch? Ich gehörte zur Familie. Außerdem hatte mein Bruder mich angerufen, als sie ihn endlich seinen Anruf haben machen lassen.
„Miss-“ Noch bevor er weiter sprechen konnte, unterbrach ich ihn. „Erstens ist mein Name Rosalie McCarty. Mrs. Rosalie McCarty. Und zweitens hat mein Bruder mich angerufen. Ich verlange ihn jetzt sofort zu sehen. Sollten Sie mich nicht sofort zu ihm bringen, will ich Ihren Vorgesetzten sprechen.“
„Verstehen Sie doch-“ Wieder wurde der Mann unterbrochen. Dieses Mal jedoch von einem Kerl, der hinter ihm stand. Er sah irgendwie wichtig aus, also fokussierte ich ihn mit meinen Augen und forderte ihn stumm dazu auf, endlich diesem lächerlichen Spektakel ein Ende zu setzen.
„Officer, lassen Sie die Dame durch.“
Der Officer gehorchte zum Glück brav und trat zur Seite.
„Es tut mir sehr leid, Mrs. McCarty. Ich werde Sie sogleich zu ihrem Bruder bringen. Doch zuvor möchte ich Sie in Kenntnis darüber setzen, weshalb Ihr Bruder verhaftet wurde.“, erklärte der Typ vor mir. Ich wartete geduldig darauf, dass er fortfuhr, doch scheinbar wartete er darauf, dass ich antwortete.
Ich machte eine schnelle Handbewegung, um ihm verständlich zu machen, dass ich nur darauf wartete.
„Nun, Ihr Bruder wurde in dem Haus seiner Exfrau gefunden. Laut einem Bluttest, der durchgeführt wurde, stand Ihr Bruder unter starkem Drogeneinfluss. Welche Drogen es genau waren, wird noch genauer festgestellt. Jedenfalls hat der Ehemann die Polizei informiert. Mr. Cullen soll sich widerrechtlich auf dem Grundstück befunden haben und sich Eintritt verschafft haben, indem er ein Fenster eingeschlagen hat.“
Während seiner Rede sah ich den Polizisten entsetzt an. Das klang so gar nicht nach meinem Bruder. Was war hier nur los?!
„Da seine Exfrau und ihre zwei Töchter sich zu diesem Zeitpunkt nicht im Haus befunden haben, waren sie außer Gefahr. Jedoch befand sich der Sohn dort. Der Junge weigert sich die Seite seines Vaters zu verlassen.“
Er wunderte sich eindeutig, weshalb Liam bei seinem scheinbar drogenabhängigen Vater bleiben wollte. Am liebsten hätte ich diesen Beamten geschlagen. Mein Bruder war nicht drogenabhängig. Er mochte sie noch nie und er trank noch nicht einmal Alkohol. Was mich nur zu einem Gedanken führte: What the fuck?!
„Jedenfalls haben die Beamten Ihren Bruder und Neffen auf das Polizeipräsidium gebracht, da er scheinbar Hausfriedensbruch begangen hat. Die Exfrau, eine gewisse Mrs. Smith, ist bereits auf dem Weg hierher. Sie war wohl bei ihrem Vater zu Besuch, als die Tat geschah.“
Die sollte sich erst einmal hierher trauen. Der würde ich noch meine Meinung geigen. Was fiel ihrem bekloppten Kerl eigentlich ein?!
Ich versuchte mich wieder irgendwie zu beruhigen, da der Beamte scheinbar wieder auf eine Antwort von mir wartete.
„Darf ich jetzt zu ihm?“, fragte ich möglichst ruhig. Ich fand es gelang mir wirklich gut. Selbst der Beamte sah etwas verwirrt aus.
„Sicher… Ich… bringe Sie gleich zu ihm.“
Er deutete mir, ihm zu folgen, drehte sich um und lief einen Gang entlang. Nach ein paar weiteren Gängen, die uns immer tiefer in das Gebäude führten, kamen wir bei den Verwahrungszellen an. Dort in einer dieser Zellen saß mein Bruder. Und ich wusste ohne jeden Zweifel, dass er dort nicht zu Recht saß.
Der Mann vor mir blieb stehen und gestikulierte zu einer der Zellen.
Dort saßen sie beide. Mein Neffe saß auf dem Schoß meines Bruders und hatte seine Arme um dessen Nacken gelegt, während dieser seine Arme um Liams Mitte geschlungen hatte. Sie sahen beide so müde und erschöpft aus. Und mein Bruder sah absolut nicht gesund aus.
Was war hier nur passiert?
Sie sahen mich beide nicht an, als die Zelle aufgeschlossen wurde, sondern vergruben ihre Köpfe noch stärker in dem Nacken des anderen.
Ich wollte schreien, ich wollte toben, ich wollte weinen.
Was war in den letzten zwei Monaten nur passiert?
Langsam ging ich auf die beiden ineinander verschlungenen Gestalten zu. Vorsichtig, als ob ich mich einem gefährlichen und verängstigten Tier nähern würde, streckte ich meine Hand nach ihnen aus.
„Edward?“, flüsterte ich.