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Mittwoch, 8. Dezember 2010

00 Prolog

„Ich will jetzt sofort wissen, wo er ist!“, fauchte ich den Polizeibeamten vor mir inzwischen einigermaßen ungehalten an. „Ich habe ein Recht zu wissen, was hier los ist!“
Der Beamte verlagerte sein Gewicht unbehaglich von einem Bein auf das andere. Immer wieder. Scheinbar wurde ihm die Situation hier unbequem. Recht so!, schimpfte ich.
Ich wollte doch nur endlich zu meinem Bruder und meinem Neffen. Warum ließ dieser sture Kerl mich nicht durch? Ich gehörte zur Familie. Außerdem hatte mein Bruder mich angerufen, als sie ihn endlich seinen Anruf haben machen lassen.
„Miss-“ Noch bevor er weiter sprechen konnte, unterbrach ich ihn. „Erstens ist mein Name Rosalie McCarty. Mrs. Rosalie McCarty. Und zweitens hat mein Bruder mich angerufen. Ich verlange ihn jetzt sofort zu sehen. Sollten Sie mich nicht sofort zu ihm bringen, will ich Ihren Vorgesetzten sprechen.“
„Verstehen Sie doch-“ Wieder wurde der Mann unterbrochen. Dieses Mal jedoch von einem Kerl, der hinter ihm stand. Er sah irgendwie wichtig aus, also fokussierte ich ihn mit meinen Augen und forderte ihn stumm dazu auf, endlich diesem lächerlichen Spektakel ein Ende zu setzen.
„Officer, lassen Sie die Dame durch.“
Der Officer gehorchte zum Glück brav und trat zur Seite.
„Es tut mir sehr leid, Mrs. McCarty. Ich werde Sie sogleich zu ihrem Bruder bringen. Doch zuvor möchte ich Sie in Kenntnis darüber setzen, weshalb Ihr Bruder verhaftet wurde.“, erklärte der Typ vor mir. Ich wartete geduldig darauf, dass er fortfuhr, doch scheinbar wartete er darauf, dass ich antwortete.
Ich machte eine schnelle Handbewegung, um ihm verständlich zu machen, dass ich nur darauf wartete.
„Nun, Ihr Bruder wurde in dem Haus seiner Exfrau gefunden. Laut einem Bluttest, der durchgeführt wurde, stand Ihr Bruder unter starkem Drogeneinfluss. Welche Drogen es genau waren, wird noch genauer festgestellt. Jedenfalls hat der Ehemann die Polizei informiert. Mr. Cullen soll sich widerrechtlich auf dem Grundstück befunden haben und sich Eintritt verschafft haben, indem er ein Fenster eingeschlagen hat.“
Während seiner Rede sah ich den Polizisten entsetzt an. Das klang so gar nicht nach meinem Bruder. Was war hier nur los?!
„Da seine Exfrau und ihre zwei Töchter sich zu diesem Zeitpunkt nicht im Haus befunden haben, waren sie außer Gefahr. Jedoch befand sich der Sohn dort. Der Junge weigert sich die Seite seines Vaters zu verlassen.“
Er wunderte sich eindeutig, weshalb Liam bei seinem scheinbar drogenabhängigen Vater bleiben wollte. Am liebsten hätte ich diesen Beamten geschlagen. Mein Bruder war nicht drogenabhängig. Er mochte sie noch nie und er trank noch nicht einmal Alkohol. Was mich nur zu einem Gedanken führte: What the fuck?!
„Jedenfalls haben die Beamten Ihren Bruder und Neffen auf das Polizeipräsidium gebracht, da er scheinbar Hausfriedensbruch begangen hat. Die Exfrau, eine gewisse Mrs. Smith, ist bereits auf dem Weg hierher. Sie war wohl bei ihrem Vater zu Besuch, als die Tat geschah.“
Die sollte sich erst einmal hierher trauen. Der würde ich noch meine Meinung geigen. Was fiel ihrem bekloppten Kerl eigentlich ein?!
Ich versuchte mich wieder irgendwie zu beruhigen, da der Beamte scheinbar wieder auf eine Antwort von mir wartete.
„Darf ich jetzt zu ihm?“, fragte ich möglichst ruhig. Ich fand es gelang mir wirklich gut. Selbst der Beamte sah etwas verwirrt aus.
„Sicher… Ich… bringe Sie gleich zu ihm.“
Er deutete mir, ihm zu folgen, drehte sich um und lief einen Gang entlang. Nach ein paar weiteren Gängen, die uns immer tiefer in das Gebäude führten, kamen wir bei den Verwahrungszellen an. Dort in einer dieser Zellen saß mein Bruder. Und ich wusste ohne jeden Zweifel, dass er dort nicht zu Recht saß.
Der Mann vor mir blieb stehen und gestikulierte zu einer der Zellen.
Dort saßen sie beide. Mein Neffe saß auf dem Schoß meines Bruders und hatte seine Arme um dessen Nacken gelegt, während dieser seine Arme um Liams Mitte geschlungen hatte. Sie sahen beide so müde und erschöpft aus. Und mein Bruder sah absolut nicht gesund aus.
Was war hier nur passiert?
Sie sahen mich beide nicht an, als die Zelle aufgeschlossen wurde, sondern vergruben ihre Köpfe noch stärker in dem Nacken des anderen.
Ich wollte schreien, ich wollte toben, ich wollte weinen.
Was war in den letzten zwei Monaten nur passiert?
Langsam ging ich auf die beiden ineinander verschlungenen Gestalten zu. Vorsichtig, als ob ich mich einem gefährlichen und verängstigten Tier nähern würde, streckte ich meine Hand nach ihnen aus.
„Edward?“, flüsterte ich.

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