Seiten

Dienstag, 17. Mai 2011

03 Familylife

03 Familylife

Ich glaube, man konnte mit absoluter Sicherheit sagen, dass ich etwas verwirrt, aufgeregt und ah… verwirrt war.
Ich meine, mich hatte gerade ein Mädchen – noch dazu hübsch und älter als ich – gefragt oder viel mehr beauftragt, mit ihr auf ein Date zu gehen. Äh ja, das dürfte den verwirrt Teil erklären. Und den aufgeregten vielleicht auch.
In unserer Schule war ich, seitdem ich hier war, so ziemlich der Außenseiter. Am Anfang hat es mich noch extrem gestört, weil ich eigentlich gehofft hatte, hier wenigstens ein paar Freunde zu finden, aber bisher war das nicht der Fall gewesen. Wahrscheinlich erwarteten die meisten, dass ich eines Tages einfach austickte, allein weil ich ein Waisenkind war und die letzten 6 Jahre von Pflegefamilie zu Pflegefamilie weitergereicht worden war.
Die Menschen hier kannten einfach nicht das Leben außerhalb ihrer Stadtgrenze oder wenn überhaupt nur aus dem Fernseher. Irgendwie traurig, aber wenigstens standen sie da nicht ganz allein da.
Klar, Rose war nett und alles. Zumindest gelegentlich. Sagt ihr das ja nicht, obwohl, sie würde es sowieso nicht glauben. Aber trotzdem hielt auch sie ihren Abstand. Nur ihre Eltern behandelten mich, als wäre ich tatsächlich ein Teil dieser Familie.
Esme war eine richtige Mutter. Es wunderte mich eigentlich, dass sie nicht mehr als nur ein Kind hatte. Aber ich sollte mich wohl besser nicht beschweren, oder? Außerdem war sie eine exzellente Köchin. Unser Verhältnis war irgendwie seltsam. Manchmal fühlte es sich so an, als ob sie tatsächlich der Meinung wäre, dass ich ihr leiblicher Sohn war und dann gab es wieder Tage, an denen sie eindeutig Probleme damit hatte, dass ich da war. Ich verstand es nicht, aber meist verkroch ich mich an diesen Tagen sowieso auf meinem Zimmer, denn dann war Esme nicht die einzige, die scheinbar verrücktspielte. Ich war bis jetzt nicht dahinter gekommen, was dahinter steckte, aber eigentlich hatte es mich auch nicht zu interessieren.
Carlisle war eigentlich ganz in Ordnung. Ich sah ihn eigentlich nur selten, da er meist im Krankenhaus arbeitete. Aber wenn er da war, versuchte er wenigstens, ein wenig Zeit mit mir zu verbringen. An den Tagen, an denen Esme sich seltsam verhielt, war er wie ausgewechselt. Meist starrte er nur vor sich hin, aber wenn ich ihn auf dem falschen Fuß erwischte, motzte er mich auch mal an. Das war extrem verstörend. Meist brauchte ich dann nicht mal einen Grund zu liefern, damit ich Hausarrest oder sonstiges bekam. Und wenn es dann ganz schlecht lief, war Rose auch noch in der Nähe und stauchte mich wegen irgendetwas zusammen, dass ich nicht mal getan haben musste, wofür ich dann letzten Endes noch länger Hausarrest bekam.
Ich verbrachte diese Tage also nicht immer freiwillig in meinem Zimmer.
Aber wo hätte ich auch sonst hin gehen sollen? Freunde hatte ich schließlich keine. Also verschanzte ich mich in meinem Zimmer, bis der Wahnsinn wieder ein Ende gefunden hatte. Das alles passierte immer in regelmäßigen Abständen, aber ich hatte noch nicht genau sagen können, was das alles auslöste.
Ich hoffte nur gerade inständig, dass so eine ‚Episode‘ nicht in dieser Woche kommen würde. Nicht wenn ich endlich Zeit mit jemandem verbringen konnte, der nicht Teil der Familie war und nicht irgendwelche Horrorgeschichten hören wollte – wie meine Mitschüler immer auf diese ganzen Geschichten kamen, die angeblich in den Heimen oder Pflegefamilien stattgefunden haben sollen, war mir bis heute schleierhaft.
Noch bevor Bella gegangen war, hatte ich all meinen Mut zusammengerafft und sie gefragt, ob Dienstag für sie in Ordnung wäre. Ich hatte halb erwartet, dass sie mir ins Gesicht lacht, aber erstaunlicherweise hatte sie nur kurz genickt und mir gesagt, ich solle sie um 18 Uhr bei sich abholen. Ich hatte nur etwas dümmlich genickt und gegrinst. Okay, dann hatte sie gelacht und mir auch noch in die Wange gekniffen.
Ja, das hatte meinem Ego nicht gerade den Schub gegeben, aber ich nahm, was ich von ihrer Aufmerksamkeit bekam.
Abends, als wir alle am Tisch saßen und zu Abend aßen, musste Rose natürlich meine Pläne – mein Date oder was auch immer das genau war – an ihre Eltern verraten. Esme hatte sich gefreut, denke ich. Jedenfalls fragte sie erst mich und dann Rose aus, wie Bella denn so sei. Mir gingen nämlich irgendwann die Worte aus. Ich hatte immerhin nicht allzu viel Zeit mit ihr verbracht. Und wenn man mal drüber nachdachte noch weniger Zeit, wenn man den ersten Abend ausließ, weil sie da ein wenig übergeschnappt war… Das erzählten wir natürlich nicht den Eltern.
Carlisle blieb im Gegensatz zu Esme ziemlich ruhig und beobachtete mich nur den gesamten Abend über. Ich versuchte währenddessen seinem Blick auszuweichen und so zu tun, als ob dieser mich nicht störte. Natürlich war das gelogen, aber ich wollte nicht, dass er mein Hoch kaputt machte, indem er irgendetwas sagte wie ‚Das Mädchen ist zwei Jahre älter als du und du kennst sie überhaupt nicht. Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist?‘ oder sowas. Keine Ahnung, ob er das wirklich sagen würde, aber das taten Eltern doch, oder? Bis jetzt war ich schließlich noch nicht in so einer Situation gewesen.
Esme und Rose plapperten während des gesamten Essens fröhlich weiter. Irgendwann hatten sie sogar das Thema gewechselt. Carlisles starrer Blick wurde erst dann von mir genommen, als Rose eine Party bei ihrem Schwarm erwähnte oder was auch immer der Quarterback war.
„Vergiss es, du wirst nicht über Nacht bleiben und denk dran, du bist um elf Uhr zu Hause.“, sagte er streng.
Rose schmollte sofort und verschränkte ihre Arme.
„Wieso darf ich nicht dort übernachten? Es wird nichts passieren. Es sind schließlich genug Leute da. Ich wäre nicht die einzige, die dort übernachtet. Bella hat gesagt, ihr Vater lässt sie dort schlafen.“
Esme seufzte, während Carlisles Augen sich verengten. Ich durfte mich jetzt nur nicht bewegen, am besten auch nicht atmen, sonst würde ich auch noch in der, was wahrscheinlich in einem bösen Streit enden würde, Diskussion auftauchen. Das brauchte ich nicht.
„Es ist mir egal, was Bella darf oder nicht. Du wirst um elf Uhr hier sein.“
„Aber Dad! Das ist nicht fair. Warum darf ich nicht? Du bist so gemein.“
Die Rede zog schon lange nicht mehr.
„Dann bin ich eben gemein, aber du wirst nicht bei Emmett übernachten. Wer weiß, was da alles passiert. Nein. Elf Uhr oder gar nicht.“
Rose wandte ihren Kopf ab, was ihren Blick dummerweise direkt auf mich richtete. Nicht atmen. Nicht bewegen. Keinen Mucks von dir geben, oder du bist aufgeflogen.
„Und was ist mit Edward? Er darf auch bis elf Uhr draußen rumlaufen-“ Kurze Anmerkung, das tat ich sowieso nie, aber ja ich hatte bis elf eigentlich immer zu Hause zu sein. „- das ist total unfair. Er ist zwei Jahre jünger als ich und darf genauso lang wegbleiben?“ Diese… Unfassbar.
Carlisles Blick traf mich wieder. Er schien nachdenklich. Oh Gott, bitte erlaub ihr einfach bis zwölf oder ein Uhr wegzubleiben, anstatt mich auf neun oder zehn Uhr zu reduzieren, nicht jetzt. Dann richtete er seinen Blick wieder auf Rose.
„Wenn du weiter mit mir diskutierst, musst du schon um zehn hier sein. Also akzeptier es einfach.“
Amen!
„Aber du hast Recht, was deinen Bruder betrifft. Es ist nicht fair. Edward, du wirst ab sofort um zehn zu Hause sein.“
Ich starrte ihn für eine Sekunde mit offenem Mund an. Unglaublich!
„Carlisle, das ist nicht fair. Ich darf immer bis elf Uhr draußen sein. Nur weil Rose es unfair findet, muss ich doch nicht bestraft werden. Ich war noch nie zu spät zu Hause, im Gegensatz zu ihr.“
Carlisle lief langsam rot an. Ein sicheres Zeichen, das seine Wut bald dort ankam, wo das Wort Hausarrest genauso oft viel wie die Worte ‚undankbare Kinder‘ oder ‚solange ich das Geld im Haus verdiene‘. Ja, gelegentlich sagte er solche klischeehaften Sachen. Aber leider zog er sie auch durch.
Esme spürte das scheinbar auch und versuchte es mit einem Kompromiss.
„Schatz, wie wäre es, wenn Edward weiterhin elf Uhr lassen und Rose stattdessen Mitternacht bekommt?“
Das schien ihm auch nicht zu passen. „Und was sie sollen sie daraus lernen? Dass sie alles bekommen, solange sie nur lang genug nerven?“
Oh ja, er war in Hochstimmung.
Ich hatte bereits meinen Kopf gesenkt und plante meine Rache an Rose. Sie hatte mich schließlich hier mit reingezogen. Ich spürte indes ihre tödlichen Blicke auf mir ruhen.
Esme seufzte, aber schien aufzugeben. Toll. Lief ja alles mal wieder super.
Carlisle warf mir kurz einen Blick zu. „Du, zehn Uhr. Keine Widerworte.“ Dann fiel sein Blick auf Rose. „Und du elf Uhr. Wenn noch einer von euch deswegen rumzickt, geht ihr beide diese Woche einfach überhaupt nicht weg. Ganz einfach.“
Natürlich war ich der einzige von uns beiden, der weise genug war, die Klappe zu halten.
„Das ist so unfair.“, murmelte Rose noch gut hörbar.
Ich zuckte zusammen, als Carlisles Hand auf dem Tisch aufschlug. „Hausarrest, beide, für eine Woche.“
Ich holte gerade Luft, um zu protestieren, als Carlisle fortfuhr. „Bei jedem Einspruch wird eine weitere Woche hinzugefügt.“
Ich ließ also meine Schultern hängen und schob mein Essen für den Rest des Abends lustlos auf dem Teller herum. „Darf ich aufstehen?“
Mit Absicht sah ich Esme an, während ich die Frage stellte. Sie würde mich wahrscheinlicher gehen lassen als Carlisle, der immer noch so aussah, als ob er was zum Thema Bella sagen wollte. Sie nickte und ich verschwand in Windeseile auf meinem Zimmer.
Ich schmiss mich auf mein Bett und starrte frustriert an die gegenüberliegende Wand. Wie konnte so ein Abend in so einem Desaster enden? Jetzt musste ich Bella morgen sagen, dass es nichts werden würde. Soviel zum Thema Außenseiter-Dasein ade.
Mürrisch setzte ich mich auf und beschloss mich duschen zu gehen und danach früh ins Bett zu gehen. Außer schlafen konnte ich eh nicht viel machen. Einen Fernseher hatte ich nicht und einen Laptop musste ich mir erst noch zusammensparen. Lust irgendetwas zu lesen hatte ich keine und Hausaufgaben hatte ich schon längst gemacht.
Zwanzig Minute später ließ ich mich ins Bett fallen und hatte mich bereits damit abgefunden, dass ich an meiner Situation nichts ändern konnte, als jemand an meine Tür klopfte.
Wenn es Carlisle war, wollte ich mich lieber schlafen stellen, als tatsächlich ein Gespräch mit ihm zu führen. Sollte es Rose sein, wäre ich zu versucht, ihr den Hals umzudrehen, als ihr zuzuhören. Und Esme war wahrscheinlich noch am Aufräumen.
Also beschloss ich einfach nicht zu reagieren und zu hoffen, dass, wer auch immer es war, den Hinweis verstehen und verschwinden würde.
Anscheinend war die Person jedoch eher ignorant, denn wenige Sekunden später öffnete sich die Tür und Rose stampfte in mein Zimmer.
„Unfassbar, oder?!“, motzte sie sofort los. „Dad ist so unfair.“
Ich seufzte und reagierte sonst überhaupt nicht. Ich drehte mich nicht mal um. Aber das interessierte Rose noch weniger. Sie glaubte wohl in mir einen Verbündeten gefunden zu haben. Eh, nein. Ohne sie wäre ich gar nicht in dieser Lage.
Dreist wie sie war legte sie sich neben mich und zickte weiter, wie unfair das alles wäre und das die Welt sich wohl gegen sie verschworen hatte und so weiter und sofort. Irgendwann wurde mir das Gezeter dann jedoch zu doof.
„Kannst du das fassen? Er weiß ganz genau, wie toll ich Emmett finde und jetzt kann ich nicht mal zu seinem Geburtstag gehen?“
Ich drehte mich abrupt um. Mein Blick musste ihr bereits verraten haben, dass ich wenig beeindruckt, sondern vielmehr sauer war.
„Weißt du, was ich noch nicht fassen kann? Das ich dank dir mein erstes Date mit Bella absagen muss. Nur weil du dich so ungerecht behandelt fühlst, ziehst du mich ständig mit in die Scheiße. Aber das Beste kommt ja noch! Danach kommst du jedes Mal zu mir und denkst, ich stimmte dir zu, wenn du eine Ewigkeit rumzeterst.“
Sie starrte mich bereits mit großen Augen an. Zugegeben, ich war noch nie so wütend auf sie gewesen und hatte es gezeigt, aber heute war sie zu weit gegangen. Aber sie erholte sich schnell.
„Du hast dich noch nie beschwert! Du hättest ja einfach was sagen können.“
Sie schmollte wieder und verschränkte ihre Arme.
„Weil es mir bis jetzt immer egal sein konnte. Ich habe keine Freunde hier in Forks, weshalb ich sowieso immer vor dem Abendessen hier bin, wenn ich nicht mal durch die Gegend laufe. Allein! Und jetzt – endlich! – spricht jemand außer euch mit mir und du hast es mir direkt versaut. Danke. Wirklich. Ich hatte schon befürchtet, dass ich meinen Ruf als Außenseiter und Freak einbüßen muss.“
Jetzt sah sie tatsächlich ein wenig Schuldbewusst aus. Sie holte Luft, um mir scheinbar darauf zu antworten, aber ich hatte heute wirklich keine Lust mehr, ihr zuzuhören.
„Da drüben ist die Tür und weißt du was? Du gehst jetzt durch sie raus und schließt die Tür hinter dir, weil ich es satt habe, dir zuzuhören. Lass mich einfach in Ruhe. Ich will jetzt schlafen, damit dieser Tag endlich ein Ende findet.“
Damit drehte ich mich um und zog demonstrativ die Decke bis zu meinem Kinn.
Sie atmete tief durch, bevor sie aufstand.
„Es tut mir leid.“, murmelte sie.
„Danke, das bringt mir jetzt auch nicht mehr viel. Aber damit dich das nicht um den Schlaf bringt, ist dir meinetwegen verzogen. Und jetzt geh.“, erwiderte ich müde.
„Nacht, Bruderherz.“, nuschelte sie, bevor sie zur Tür ging und sie hinter sich schloss.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen